Mittwoch, 8. Februar 2012

Zahnloser Tiger

Die Lage in Syrien gerät immer mehr außer Kontrolle. Dem anfangs friedlichen Protest großer Teile der Bevölkerung Syriens gegen das Regime des Herrn Assad begegnete dieser zuerst mit polizeilicher und bald darauf mit militärischer Gewalt. Inzwischen ist in den Medien immer öfter von bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Rede.

Eine offizielle Berichterstattung unabhängiger Medien aus Syrien ist seitdem kaum noch möglich. Dass aber Panzer wahllos auf Wohngebiete in syrischen Städten schießen, in denen die Menschen gegen das Regime auf die Straße gehen, das ist in zahlreichen Videoaufnahmen zu sehen, die Bürger Syriens mit in Mobiltelefonen eingebauten Kameras aufgenommen haben.

Mehr als 400 Menschen wurden seit Beginn der Demonstrationen gegen das Regime Herrn Assads in Syrien umgebracht. Die Beobachter-Mission der Arabischen Liga, deren Mitglieder der Welt berichten sollten, dass das syrische Miltär seine Gewalt gegen die Opposition beendet, mussten das Gegenteil feststellen. Die Versuche der Arabischen Liga, das Syrische Regime zur Abkehr von der Gewalt zu bewegen misslangen und die Beobachter wurden konsequenterweise wieder abgezogen.


Gegen den Rest der Welt:

Eine wirksame Resolution der UNO, die das Regime in Syrien mithilfe von Sanktionen hätte empfindlich treffen können, wurde jetzt mit dem Veto von Russland und von China verhindert. Dass die "Demokratielenker" Russlands und die Diktatoren in China Verständnis dafür haben, wenn das Regime des Herrn Assad mit "Panzer-Kanonen auf Spatzen schießen lässt" und er für diese Maßnahmen imaginäre "ausländische Terroristen" verantwortlich macht, wundert mich überhaupt nicht.


Russland ...

Seit der Zeiten der Sowjetunion (UDSSR), deren Machtzentrale de facto immer in der russischen Hauptstadt Moskau angesiedelt war, gibt es dort die unschöne Tradition, zivilen Protest der Bevölkerung in einzelnen Staaten der "Union" mithilfe des Militärs niederzubomben. Daran hat sich auch nach dem Zerfall der UDSSR in der Russischen Föderation nichts geändert. Erinnert sei in diesem Zusammenhang zum Beispiel an die Trümmerwüste, die nach dem Bombardement durch die russische Armee von der tschetschenischen Hauptstadt Grosny übriggeblieben war. Versuche Tschetscheniens oder Georgiens, sich aus dem Machtbereich der "Föderation" in die Unabhängigkeit zu verabschieden wurden mit massiver militärischer Gewalt unterdrückt.

Russland geht jetzt sogar so weit, Herrn Assad direkt nach seinem Veto gegen die UN-Resolution demonstrativ mit einen Besuch Herr Lawrows (Russland, Außenminister) zu beehren. Herr Lawrow sagte gestern in Damaskus, Herr Assad sei bereit weitere Beobachter der Arabischen Liga ins Land zu lasssen. Na toll: Das ist an Zynismus ja wohl kaum noch zu überbieten. Die Beobachter können dann nämlich, weiterhin ohne den geringsten Einfluss auf ein Ende der Gewalt, über Militäreinsätze des Regimes gegen die Zivilbevölkerung berichten - sofern Herr Assad ihnen tatsächlich die Gelegenheit dazu geben sollte, diese Einsätze zu beobachten.

In den Nachrichten hieß es dazu gestern, Herr Lawrow habe der Welt mitgeteilt, Syrien werde die Gewalt gegen das Regime mit eigenen Mitteln und ohne ausländische Intervention beenden. Herr Assad sei sich seiner Verantwortung bewusst, die ein Führer für sein Land habe. (Führer, habe ich das nicht schon einmal irgendwo gehört?.) Derartige Äußerungen eines hochrangigen Vertreters Russlands zeigen deutlich, was die Regierung in Russland von Demokratie hält, seit Herr Putin (Russland, Präsident) dort das Sagen hat.

Auf welche Weise Herr Assad seiner "Verantwortung" gerecht zu werden gedenkt, ist in den bereits erwähnten Videoberichten syrischer Demonstranten inzwischen vielfach dokumentiert worden. Oder glaubt etwa irgend jemand, Herr Assad und seine Anhänger würden ihr Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung ändern, solange Russland und China deren Methoden gegen den Rest der Welt decken? Noch während Herr Lawrow sein Statement vor den Kameras des syrischen Fernsehens abgab schoss das Militär wieder einmal auf die Zivilbevölkerung in der syrischen Stadt Homs.


... und China

Auch die Diktatoren in Peking können sich nur deshalb noch an der Macht halten, weil sie seit Jahrzehnten immer wieder auf militärische Gewalt gegen die eigene Bevölkerung und die der annektierten Völker (Tibeter, Uiguren, ...) am Rand des Riesenreichs zurückgreifen, weil ihr geheimpolizeilich organisierter Machtapparat bisher perfekt funktioniert und der Rest der Welt die permanenten Menschenrechtsverletzungen in China um des schnöden Mammons willen beharrlich ignoriert.

Erst kürzlich hatte auch Frau Merkel (CDU, Bundeskanzlerin) das wieder einmal zu spüren bekommen. Diese hatte in Peking zwar mit Vertretern des Regimes über Menschenrechtsverletzung sprechen wollen - ein Ansinnen, das diese sich in der Regel mit deutlichen Worten verbitten - und eigentlich hatte sie auch vorgehabt, mit chinesischen Oppositionellen zu sprechen, war daran aber von ihren chinesischen "Gastgebern" erfolgreich gehindert worden. Diese Brüskierung konnte sie und die in ihrem Gefolge mitgereisten Vertreter deutscher Unternehmen aber nicht davon abhalten, mit Chinas Machthabern erneut über profitable Geschäfte zu verhandeln. Deutlicher konnte Frau Merkel wohl kaum demonstrieren, wo die Prioritäten der Bundesregierung liegen.


Keine Sicherheit im Exil

Seitdem gestern außerdem auch noch offiziell bekannt gegeben wurde, dass Syrien mit geheimdienstlichen Methoden im Ausland gegen syrische Oppositionelle vorgeht, haben die Methoden des Herrn Assad und seines Regimes zusätzlich an Brisanz gewonnen. Zwei mutmaßliche syrische Spione seien gestern in Berlin festgenommen worden.

Der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zufolge hätten die 34 und 47 Jahre alten Männern in Deutschland jahrelang syrische Oppositionelle ausgeforscht. Wie die Tagesschau gestern berichtete, erfolgten die Festnahmen aufgrund von Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Sechs weitere Beschuldigte sollen den Festgenommenen bei den Spionagetätigkeiten behilflich gewesen sein. Herr Westerwelle (FDP, Außenminister) hatte deshalb gestern den syrischen Botschafter in Deutschland einbestellen lassen. Dem Botschafter sei mit deutlichen Worten klargemacht worden, dass die Bundesregierung ein etwaiges Vorgehen Syriens gegen in Deutschland lebende Syrer, die dem Regime in Damaskus kritisch gegenüberstehen, auf keinen Fall akzeptieren wird.

In der Tagesschau der ARD hieß es gestern, unter den mehr als 32000 in Deutschland lebenden Syrern gebe es viele Oppositionelle, die den Widerstand in ihrer Heimat aus der Ferne unterstützen. Sie seien immer wieder Schikanen ausgesetzt. So sei auch Herr Ahma, der seit 1996 in Berlin lebe, im Dezember 2011 von zwei Unbekannten in seiner Wohnung angegriffen worden. Er werte den Vorfall als einen Einschüchterungsversuch im Auftrag von Schergen des Regimes. Herr Ahma ist Mitglied der Grünen und seit Oktober des letzten Jahres Mitglied des von Syrien nicht anerkannten oppositionellen Syrischen Nationalrats.


Der große zahnlose Tiger

Es ist gut, dass die Bundesregierung und deutsche Behörden gegen die Verfolgung hier lebender Immigranten durch geheimdienstliche Organisationen der Regierungen ihrer Herkunftsländer vorgehen und dazu öffentlich Stellung beziehen. Damit hat Deutschland dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einiges voraus. Solange dort nämlich die Vertreter einzelner Staaten den demokratischen Willen der Vertreter der Mehrheit der Menschheit mit ihrem Veto blockieren können, wird die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) immer nur ein zahnloser Tiger sein, den kein gewalttätiger Tyrann, der "sein Volk" brutal zusammenschießen lässt, zu fürchten baucht. Das macht gerade im Falle Syriens wieder einmal deutlich, dass eine Reform der Verfassung der UNO längst überfällig ist.


(Quellen: Nordsee-Zeitung vom 08.02.2012, Süddeutsche Zeitung vom 07.02.2012, ARD-Tagesschau vom 07.02.2012, TAZ vom 07.02.2012, Neue Züricher Zeitung vom 07.02.2012, Focus vom 06.02.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.02.2012, Spiegel vom 04.02.2012)

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