Sonntag, 30. Dezember 2012

Die weite Welt im Rückspiegel

Auf internationaler Ebene begann das Jahr 2012 mit einem vierundzwanzigstündigen Blackout im Internet. Am 18. Januar war der Zugang zu einigen der weltweit meistbesuchten Internetseiten in den USA gesperrt. Mit dieser Aktion protestierte unter anderem auch das Online Lexikon Wikipedia gegen das Gesetzesvorhaben in den USA, dass es US-Amerikanischen Behörden erlauben würde, ganze Websites zu blockieren, wenn jemand den Verdacht äußert, dass ein Benutzer der Seite gegen ein Gesetz verstoßen haben könnte.

Das internationale demokratische Netzwerk AVAAZ schrieb dazu (Zitat): "Das Gesetz würde die USA zu einem der Länder mit der weltweit schlimmsten Internet-Zensur machen - und so mit Staaten wie China und Iran gleichziehen. Durch SOPA (Stop Online Piracy Act) und PIPA (Protect Intellectual Property Act) würde es der amerikanischen Regierung möglich, uns Nutzern auf der ganzen Welt den Zugriff auf Webseiten wie YouTube, Google oder Facebook zu sperren."

Soviel also zum freiheitlich demokratischen Selbstverständnis der USA - dem Land, von dem es einmal hieß, es sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und das Diktaturen wie China, Birma oder Iran immer wieder gerne Zensur, Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und die Missachtung der Menschenrechte, insbesondere dasjenige der Informationsfreiheit vorwirft.


A pros pros China: Auch die Machthaber in Peking machten Anfang Januar wieder einmal von sich reden, als sie den Tibetern gegenüber ihr Verständnis von Einigkeit und Harmonie demonstrierten. Herr Basang Toinzhub (politische Konsultativkonferenz in Tibet, Vizechef) hatte erklärt: "Die Aufrechterhaltung der Stabilität, die Verbesserung der Einigkeit und die Förderung der Harmonie in Tibet haben höchste Priorität, weil sie die Stabilität der Nation betreffen."

Als geeignetes Mittel für die "Verbesserung der Einigkeit und die Förderung der Harmonie" nannte er die "patriotischen Erziehungskampagne" für Mönche und Nonnen, die weiter vorangetrieben werden soll. Sollte heißen: Die chinesischen Behörden werden die Kontrolle der tibetischen Klöster weiter verschärfen.

Anlass für die angekündigte "Verbesserung der Einigkeit und die Förderung der Harmonie" war eine erneute Selbstverbrennung eines vierzigjährigen tibetischen Mönchs, der als "Lebender Buddha Sopa" verehrt worden war. Wie verzweifelt müssen Menschen sein, die ihrem Schicksal auf eine derart qualvolle Weise ein Ende setzen?

Auch im April verschaffte sich das chinesische Unterdrückungssystem wieder ungeteilte Aufmerksamkeit auf die Titelseiten der internationalen Presse, als dem blinden Bürgerrechtler Chen Guangcheng nach zwanzig Monaten die Flucht aus dem Hausarrest in einem Dorf in Chinas östlicher Provinz Shandong in die Botschaft der USA in Peking gelang. Nach längerem diplomatischen Klimmzügen endete die spektakuläre Flucht des Herrn Guangcheng aber mit einem Happy End als die Machthaber in Peking endlich nachgaben und Herrn Guangcheng zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Mai in die USA ausreisen ließen.

Wie in jedem Jahr verschärften Chinas Machthaber auch in diesem Jahr im Vorfeld des Jahrestages des Massakers auf dem "Platz des himmlischen Friedens" ihre Repressalien gegen Oppositionelle. Mit vorbeugenden Festnahmen oder Verhängungen von Hausarresten versuchen sie jede öffentliche Erinnerung an das Massaker zu unterdrücken. Aber wie in Gallien zu Zeiten von Asterix und Obelix gibt es offenbar auch in China so ein letztes "kleines Dorf", in dem noch ein Hauch von Freiheit überlebt hat: Im Juni bildeten zehntausende Menschen, die zum Gedenken an das Tiananmen-Massaker Kerzen in den Händen hielten, im "Victoria Park" - mitten in Hongkong - ein beeindruckendes Lichtermeer.


Im Februar mobilisierte ein weiteres Gesetzesvorhaben der USA die internationale Internetgemeinde: ACTA. Innerhalb einer Woche hatten drei Millionen Menschen eine internationale Petition gegen das Gesetz mitgezeichnet, das ein noch weiterreichender Angriff auf die weltweite Freiheit des Internets und viele andere Bereiche des täglichen Lebens gewesen wäre, als es die Gesetzesvorhaben PIPA und SOPA gewesen wären. Darüberhinaus waren am 11. Februar tausende Menschen in 150 Ländern auf die Straße gegangen, um gegen das umstrittene Handelsabkommen ACTA zu demonstrieren.

Bereits am Tag zuvor hatte die Bundesregierung verkündet, sie werde das Abkommen "vorerst" nicht unterzeichnen. Im Juli legte dann endlich auch das Europaparlament ACTA endgültig ad acta. Das ist ein Sieg für die europäische Demokratie und für den Datenschutz im Internet.


Damit war die Angriffswelle aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten allerdings noch lange nicht beendet. Nach SOPA, PIPA und ACTA hatten die USA noch CISPA in der Pipeline. Bereits im April starteten mehr als 100 Abgeordnete des Kongresses der USA mit dem "Cyber Intelligence Sharing and Protection Act" den nächsten Angriff auf die Freiheit des Internets. Unterstützung finden sie dabei aber auch durch die international agierenden Internetkonzerne "Facebook", "Microsoft" und "IBM". Da diese die bei ihnen gespeicherten Daten ihrer Nutzer und ihre Erkenntnisse über alles, was ihre Kunden online unternehmen - wie in CISPA vorgesehen - an Behörden der US-Regierung weitergeben würden, wären diese Konzerne eine unerschöpfliche Quelle für private Daten ihrer Kunden.


Auch dem Nahen Osten brachte das Jahr 2012 keinen Frieden. Das Gegenteil war der Fall. Die Situation in Syrien ist bis heute immer mehr außer Kontrolle geraten. Dem anfangs friedlichen Protest großer Teile der Bevölkerung Syriens gegen das Regime des Herrn Assad begegnete dieser zuerst mit polizeilicher und bald darauf mit militärischer Gewalt. Nachdem im Februar noch von bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Rede war herrscht in Syrien jetzt eindeutig Bürgerkrieg, von dem auch die Grenzregionen der Nachbarstaaten Israel und Türkei nicht verschont blieben. Sollte aus dem Rasseln der Türkei mit dem Säbel "NATO" in dieser Angelegenheit ein weiterer Konflikt entstehen, dann könnte sich auch Deutschland unversehens in der Rolle einer Kriegspartei wiederfinden. Die Grundlage dafür hatte der Bundestag Mitte Dezember gelegt. Am 08.01.2013 sollen in Travemünde zwei "Patriot"-Raketenabwehrstaffeln der Bundeswehr für den Einsatz an der türkisch/syrischen Grenze für den Seetransport verladen werden.

Mitte November ist Herr al-Dschabari (Hamas, Militär-Kommandant und Kommandeur der Al-Kassam Raketen-Brigaden der Hamas) bei einem gezielten Luftangriff Angriff Israels getötet worden. Israels Regierung rechtfertigte die Ermordung Herr al-Dschabari mit dem fortgesetzten Terrorangriffen auf die israelischen Grenzregionen zu Gaza. Es folgten weitere Luftangriffe auf Ziele im Gaza-Streifen, bei denen es auch wieder Verletzte unter der Zivilbevölkerung gab. Die Hamas antwortete ihrerseits mit Raketenangriffen auf weiter von der Grenze entfernte Ziele, darunter auch Städte wie Tel Aviv oder Jerusalem.

Am 27. November beschloss die Vollversammlung der UNO die Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat. Die israelische Regierung reagierte darauf mit der Ausweitung ihrer Siedlungspolitik in den Palästinenser-Gebieten. Vielleicht werden die Zweifler Recht behalten, die in der Anerkennung Palästinas ein Hindernis auf dem Weg zu einem souveränen Staat Palästina sehen. Ich denke aber, dass der neue Status Palästinas sich als ein erster Schritt in die richtige Richtung erweisen könnte, da es seine Position bei Verhandlungen mit Israel über eine politische Lösung stärkt. Das eigentliche Hindernis sind die ewig gleichen Gewalt-Rituale und die radikalen Palästinenser der Hamas sowie der fortgesetzte kontraproduktive israelische Siedlungsbau.

Aber abseits der Kriegspolitik der Regierungen gab es auch Zeichen der Hoffnung. In seinem YouTube Channel schrieb der Israeli Ronny Edry: "Mein Name ist Ronny. Ich bin 41 Jahre alt. Ich bin ein Vater, ein Lehrer, ein Grafik Designer. Ich bin ein Bürger Israels und ich brauche eure Hilfe. In den Spätnachrichten haben wir gehört, ein Krieg würde kommen, und wir, die gewöhnlichen Leute, sitzen hier und schauen dabei zu wie der Krieg kommt, als hätte das alles überhaupt nichts mit uns zu tun. .." Am 15. März hatte zuvor er ein Poster auf Facebook veröffentlicht. Die Botschaft war einfach: "Iraner. Wir lieben euch. Niemals werden wir euer Land bombardieren."

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Innerhalb kürzester Zeit antworteten Menschen aus Iran mit einer eigenen Internetseite: "Nichts von dem, was mit Krieg zu tun hat, hat die Fähigkeit zu heilen. Es pflanzt keinen Samen des Wandels – nur den der Zwietracht und des Schmerzes. Die Menschen in Iran blicken ebenso dynamisch und kreativ nach vorne, wie diejenigen in Israel. .."


Als Schande für die zivilisierte Welt erwiesen sich wieder einmal US-Soldaten, die in Afghanistan Leichen geschändet hatten. Erneut brachte die Veröffentlichung weiterer grausamer Fotos die Regierung der USA gegenüber der Weltöffentlichkeit in Erklärungsnot.

Der immer wieder angekündigte Truppenabzug aus Afghanistan ist eigentlich schon längst überfällig. Solange es die Widerstandskämpfer der Taliban gibt, die offenbar auch in Gebieten außerhalb Afghanistans immer wieder Unterschlupf finden, wird dieser Krieg nicht mit militärischen Mittel zu gewinnen sein. Aber selbst wenn Militärs und mit militärischen Angelegenheiten befasste Politiker von Truppenabzug sprechen, dann heißt das noch lange nicht, dass sie damit die Beendigung ihres militärischen Engagements am Hindukusch meinen. Möglicherweise entpuppt sich ihr Gerede eines Tages als Vorbereitung auf den Krieg nach dem Krieg.


Anlass für vorsichtige Hoffnung gibt hingegen das Ergebnis der Nachwahlen am 1. April 2012 für die Vergabe von sieben Prozent der Sitze im Parlament Birmas. Dabei errangen die erst seit kurzem wieder zugelassene "Nationale Liga für Demokratie" (NLD) und die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi 43 der 45 Sitze. Ob die zaghaften Reformen der Militärregierung aber eines Tages in eine echte Demokratie und Öffnung des Landes gegenüber dem Rest der Welt führen werden, bleibt abzuwarten.


Im Mai wurde in Frankreich ein neuer Präsident gewählt. Seit seine Aussichten auf eine weitere Präsidentschaft mehr und mehr schwinden, war sich Herr Sarkozy (Frankreich, UMP, Staatspräsident) nicht einmal mehr zu schade, auf die rechtsextreme Linie von Frau Le Pen (Frankreich, Front Nationale) einzuschwenken. Mit seinen rechtsextremen Allüren erreichte er aber eher das Gegenteil von dem, was er sich damit erhofft hatte: Herr Hollande ging als Gewinner aus der Präsidentschaftswahl hervor.

In den USA wurde Herr Obama ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt. Mit ihrer stets rückwärts gewandten Blockadepolitik hatten die Repblikaner vier Jahre lang notwendige Fortschritte für die Entwicklung ihres eigenen Landes verhindert - nur um ihm zu schaden. Auf ihr Konto gehen auch Blockaden auf internationaler Ebene - sei es in der Friedens-, der Wirtschafts oder der globalen Umwelt- und Klimaschutzpolitik. Sollten die Republikaner ihr Verhalten nicht ändern, wird sich die Vision Herrn Obamas von einem lebenswerten Amerika ab wohl nur ein frommer Wunsch bleiben: "Wir wollen, dass unsere Kinder in einem Amerika leben, das nicht durch Schulden erdrückt wird, das nicht durch Ungleichheit geschwächt wird, das nicht durch die zerstörerischen Kräfte eines sich erwärmenden Planeten bedroht ist." (Barack Obama nach seiner Wahl zum Präsidenten der USA am 07.11.2012)


Im Juni regierte König Fußball in Europa. Ausgetragen wurde die Europameisterschaft in der Ukraine und in Polen. Darüber, dass in der Ukraine allein im vergangenen Jahr rund 900000 Menschen Opfer von Folter und Gewalt durch Angehörige der Polizei wurden, berichteten die Medien allerdings nur am Rande der Fußball-Europameisterschaft. Wert legte man in der Ukraine dagegen auf auf Pomp und den schönen Schein.


Im Oktober verwüstete der Hurrikan "Sandy" weite Landstriche an der Ostküste der USA. Selbst die Megametropole wie New York kam nicht ungeschoren davon. Besonders betroffen machte mich die Nachricht vom Untergang der "HMS Bounty". Der Küstenwache war es mit Hubschraubern gelungen, 14 Besatzungsmitglieder zu retten. Eine Frau und der Kapitän starben. 2011 war die "Bounty" noch in Bremerhaven zu Gast gewesen ...



Die Themen "Energiewende" und "Klimaschutz" habe ich bei meinem Blick in den Rückspiegel erst einmal ausgeklammert. Ansonsten hätte ich Anfang Dezember schon mit dem Schreiben anfangen müssen. Zum Thema Atomkraft gibt es mit meinen "gesammelten Atomkraft-Werken" seit dem 21. März ja ohnehin eine ständig aktualisierte Zusammenfassung meiner Artikel in "juwi's welt".


Zu Guter Letzt ...
Ich weiß nicht, wie ihr gewöhnlich die letzten Minuten des alten Jahres auszählt, aber folgendermaßen soll es sich vor gut einhundert Jahren bei Pastors zugetragen haben:

Neujahr bei Pastors

Mama schöpft aus dem Punschgefäße,
Der Vater lüftet das Gesäße
Und spricht: "Jetzt sind es vier Minuten
Nur mehr bis zwölfe, meine Guten.

Ich weiß, dass ihr mit mir empfindet,
Wie dieses alte Jahr entschwindet,
Und dass ihr Gott in seinen Werken
- Mama, den Punsch noch was verstärken! -

Und dass ihr Gott von Herzen danket,
Auch in der Liebe nimmer wanket,
Weil alles, was uns widerfahren
- Mama, nicht mit dem Arrak sparen! -

Weil, was geschah, und was geschehen,
Ob wir es freilich nicht verstehen,
Doch weise war, durch seine Gnade
- Mama, er schmeckt noch immer fade! -

In diesem Sinne meine Guten,
Es sind jetzt bloß mehr zwei Minuten,
In diesem gläubig frommen Sinne
- Gieß noch mal Rum in die Terrine! -

Wir bitten Gott, dass er uns helfe
Auch ferner - Wie? Es schlägt schon zwölfe?
Dann prosit! Prost an allen Tischen!
- Ich will den Punsch mal selber mischen."

Ludwig Thoma (1867-1921)

Ich wünsche allen Besuchern
einen guten Start ins neue Jahr 2013
- und einen katerlosen Neujahrsmorgen




Das war 2012 ...
  • Teil 1: ... in "juwi's welt"
  • Teil 2: Ein Rückblick über den Tellerrand
  • Teil 3: Die weite Welt im Rückspiegel

2 Kommentare:

Frau Momo hat gesagt…

Gegen meinen kleinen persönlichen Jahresrückblick ist dieser hier aber richtig Arbeit gewesen... Hut ab und danke dafür.
Auch Dir und den Deinen einen guten Jahreswechsel und alles Liebe und Gute für 2013. Mal sehen, wo wir uns treffen :-)

Anonym hat gesagt…

Mich hat das Gedicht von Ludwig Thoma sehr zum Schmunzeln angeregt...


Salut

Helmut

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